Werner Pöhlert - Grundlagenharmonik

"Für Jazz brauchst du nur 5% Theorie, die restlichen 95% sind Übung und Experiment - aber diese 5% Theorie müssen zu 100% beherrscht werden!" war eine oft zu hörende Aussage Werner Pöhlerts vor seinen zahlreichen Harmonielehreklassen, Seminaren oder Workshops.

 

5% Theorie - 100%ig

Seine Grundlagenharmonik befasst sich auf 932 Seiten eben mit jenen "5 Prozent": weit über 3000 graphische Darstellungen zu den Gesetzmäßigkeiten des musikalischen Materials, zahlreiche Griffbilder, Tabulaturen, Musikbeispiele für Gitarre, Baß, Tasten- und Melodieinstrumente helfen dem heutigen Anwender, die melodischen und harmonischen Fähigkeiten großer Könner der Musikgeschichte schrittweise nachzuvollziehen. Aus den Erfahrungen einer über 50jährigen Podiums- und Unterrichtspraxis und der progressiven Perspektive eines Modern Jazz Musikers entstand hier ein "Roter Faden" durch die Theorie und die Praxis der historischen und modernen Stile.

 

"Fehler-Vermeidungs-Methode"

Die neue Auflage enthält darüberhinaus die Komplettabdrucke der Pöhlert-Bücher "BASIC TRITONIC" (über die raffinierte "Tritonus-Harmonik" ©1994) und "BASIC MEDIANTIC" (©1991) mit zahlreichen Jazzstandards. Statt der üblichen Unmenge komplizierter pseudowissenschaftlicher Skalen erhält der Anwender hier durch spezielle Umdeutungen vereinfachte Improvisationsgerüste ("Fehler-Vermeidungs-Methode"!), welche eine sehr praktikable, an Mainstream-Stilistik orientierte "flüssige" Improvisationsweise ermöglichen.

 

Standardwerk weltweit

Seit der Erstausgabe 1982 wird die Grundlagenharmonik ("Basic Harmony" & ©1975 / mehrere Auflagen und Übersetzungen) als Standardwerk in weltweit üner 4000 Bibliotheken, Schulen und Universitäten von Praktikern, Liebhabern und Fachleuten, Lernenden und Lehrenden benutzt.

Gegen Kommerzialität und Tendenzen kulturellen Zerfalls

Gegen kulturelle Zerfalls-Tendenzen im "Zeitalter der Oberflächen-Veredelung" - wo nach der Aussage eines Fernsehmoderators "bald jeder, der gerade laufen kann, auch eine eigene CD produziert" - sowie im Gegensatz zu den leeren kommerziellen Versprechungen à la "angesagteste power-licks für die eigene Studiokarriere" und dergleichen - spricht Werner Pöhlerts Buch die ernst Bereitschaft an, sich über längere Zeiträume in täglichem Training und praktischem Experiment mit der Materie auseinanderzusetzen; jene gleiche Bereitschaft resp. Einsicht in Notwendigkeiten, wie sie die Biographien großer Meister auszeichnet, die das musikalische Material aus der Höhe ihrer jeweiligen Zeit durchforsteten und teilweise bis zum Äußersten ausreizten ... von Bach über Chopin bis zu den Jazzpionieren Charlie "Bird" Parker, Wes Montgomery und vielen anderen ...

 

Der "Vorhang des Unbewußten"

Die Grundlagenharmonik hinterfragt die auditiven (gehörsgestützten) Fähigkeiten musikalischer Profis, wobei sie der Analyse unbewußt-intuitiver Denkvorgänge besonderen Raum widmet. Vormals verborgene Gesetzmäßigkeiten werden - nun jedoch lern- und lehrbar - auf das Griffbrett oder die Tastatur des heutigen Anwenders projiziert - der von einem schwarzen Jazzmusiker so treffend umschriebene "curtain of unconsciousness", der "Vorhang des Unbewußten" beginnt sich Stück für Stück zu heben ...

Grundlagenharmonisches Denken basiert auf historischen Vorgängern: so hatte z.B. die Solmisationstheorie für die Musik des Mittelalters ähnliche Bedeutung, wie der Generalbaß oder die Versuche früher Harmonielehren (Rameau u.a.) für die Barockmusik. Die Harmonielehren von Riemann u.a. analysierten theoretische Hintergründe der Klassik-Romantik, wobei ihnen jedoch mit der bizarren Harmonik der Spätromantik (Wagner u.a.) die sprichwörtliche Luft ausging (sog. "Krise der klassischen Harmonik").

Vor diesem historischen Hintergrund bezeichnete Werner Pöhlert seine Grundlagenharmonik mitunter auch als "Solmisation der Mehrstimmigkeit", meist jedoch als "Handwerkslehre" oder "Gebrauchsanweisung zur musikalischen Selbständigkeit" für die durch Blues und Jazz so radikal geänderten und geprägten Spieltechniken und Hörgewohnheiten des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Bedeutung der Funktionstheorie Hugo Riemanns für die Denkweise des 19. Jahrhunderts findet - im blues- und jazzgeprägten 20. und 21. Jahrhundert - eine Entsprechung bzw. konsequente Weiterführung im Grundlagenharmonischen Denken.

Aus dem Inhalt: jedes musikalische Geschehen in unserem 12-tönigen System (Improvisation, Komposition etc.) ist Bestandteil eines hier als "Dauerquintfall" bezeichneten Kräftespiels. Der Anwender wird durch ein verwobenes System spezieller Umdeutungen in die faszinierende Welt des Grundlagenharmonischen Denkens versetzt ... aus zunächst trocken erscheinender Formelhaftigkeit erwachsen Fähigkeiten und steigende musikalische Ansprüche, wie ungezählte begeisterte Korrespondenzen über nunmehr Jahrzehnte belegen ...

 

"Jazz & alte Musik" - 100 Jahre einer Musikerfamilie

Das Erscheinen der neuen, überarbeiteten 6. Auflage im Frühjahr 2001, hat - kurz nach Werner Pöhlerts Tod (30. September 2000) - auch symbolischen Charakter, da hierdurch 100 Jahre einer Musikerfamilie umfasst sind. Werners Vater Ernst (Jahrgang 1901), eins von sechs Kindern des Industrielokführers und Musikers August Pöhlert, war der erste Berufsmusiker. Dessen Sohn Werner Pöhlert (geb. 1928 in Hamburg): Jazzbegeisterung schon in der Nazi-Zeit / Gitarrist der "ersten Stunde" des Europäischen Nachkriegsjazz - Erster im Deutschen "Jazz-Poll" 1956/57 - Mitbegründer legendärer Jazzclubs in den 50ern - Anfang der 60er Jahre Studium der Alten Musik in Basel (Scola Cantorum) - erlangte mit seinem "Renaissance-Ensemble Pöhlert" internationales Renommée - Hochschuldozent und Leitung eigener Fachschulen für "Jazz & Alte Musik" - Der von ihm entwickelte Seminarunterricht ("Pöhlert-Schule") erreicht seit den 60er Jahren allwöchentlich bis zu 1000 Schüler (!) - Pöhlert nach einer Mannheimer Festschrift "die musikalische Amme einer ganzen Gitarristen-Generation..." - seit Ende der 50er Publizist - zahlreiche Tonträger, Buch-Publikationen u.a. - seit Anfang der 80er Jahre zunehmend Workshops und Seminare zur Grundlagenharmonik - Pöhlert Publication Team

Der Herausgeber Peter Maier ("Gitarre Aktuell", Hamburg) umriß in seinem Nachruf auf Werner Pöhlert die Vita des Nonkonformisten, unruhigen Geistes und philosophisch-dialektischen Denkers: "... in das Bewußtsein ungezählter jazzambitionierter Schüler, Lehrer, Musiker und Theoretiker eingegraben ... was ihn am meisten interessiert hat: Neues entdecken, ausprobieren, den Blick nach vorne richten, um zu sehen, was hinter der nächsten Ecke ist. Und hinter der Übernächsten..."